Kurier-Journal

Qualität und Spezialisierung als Erfolgsrezept

Ostbelgien.- Das Schreinerhandwerk gehört in Ostbelgien zu den wichtigsten wirtschaftlichen Gewerben überhaupt. Es wird vertreten durch die Schreinerinnung Ostbelgien, die in diesem Jahr ihren 50. Geburtstag feiert.  Die Idee zu einer engeren Zusammenarbeit der ostbelgischen Schreiner und Holzverarbeiter hatte Hubert Haas, der zusammen mit einigen Schreinermeistern, allen voran Mathieu Girkes aus Iveldingen, am 30. April 1971 zu einer ersten Konzertierungs- und Sondierungsversammlung nach St. Vith einlud.

„Man wusste zwar voneinander und begegnete sich ab und an zu einem lockeren Plausch bei dem einen oder anderen Lieferanten, aber eine Art Zusammenarbeit war in dieser Zeit undenkbar. Das Konkurrenzdenken war einfach zu groß, vor allem, da die Aufträge meist lokal angesiedelt waren“, erinnert sich Reinhold Wilmes aus Grüfflingen, eines der Gründungsmitglieder.

21 Schreiner gründeten die Innung am 17. Dezember 1971.

Die Gründungsversammlung fand einige Zeit später, am 17. Dezember 1971, bei Kreusch in Amel statt. „Wir waren zu 21 Schreinern aus den Eifelgemeinden, die die Schreinerinnung St. Vith-Büllingen ins Leben riefen und das Ziel verfolgten, die Kameradschaft und den Erfahrungsaustausch unter Kollegen zu vertiefen“, so Mathieu Girkes. Harmonie und Ehrlichkeit untereinander trugen dazu bei, dass sich die Mitgliederzahl nach nur einem Jahr mit 39 Betrieben praktisch verdoppelte.

In den Anfangsjahren war es vor allem Gründungspräsident Otto Wiesemes, der dank seiner guten Kontakte zu Architekten und Fachleuten diverse Vorträge organisierte. „Für einen kleinen Betrieb war diese Art von Fort- und Weiterbildung nicht möglich. In der Gruppe aber zeigten wir eine Stärke, sodass die Betriebe und Zulieferer auch auf uns zukamen, wollten sie doch ihre Produkte und Innovationen an den Mann bringen“, so Otto Wiesemes. Der Besuch von Furnierwerken, des Holzlagers im Hafen von Antwerpen oder aber Produktpräsentationen von Meurer und Mennicken trugen dazu bei, dass die Innung zu einer „eingeschworenen Gemeinschaft“ wurde.

„Man war zwar noch Konkurrent, erkannte aber auch den Nutzen der Synergien und des ständigen Austauschs“, sagte der mittlerweile verstorbene Günther Faymonville aus Honsfeld anlässlich eines Videodrehs. Neben dem technischen Umbruch der Schreinerbranche hat vor allem die mittelständische Ausbildung die Schreinerinnung von Beginn an beschäftigt. Als Innung wurde der Verband im Zuge der Neustrukturierung der Ausbildung direkter Ansprechpartner der Politik. So stellte die Innung einen Vertreter für die nationale Prüfungskommission, der zusammen mit jeweils zwei Kollegen aus Flandern und der Wallonie jährlich den Fragenkatalog zusammenstellte.

„Dadurch wurde die Zusammenarbeit mit den Verantwortlichen der dualen Ausbildung (gewerbliche Fortbildungsschule und das heutige ZAWM) kreiert und aufgebaut“, so der Ehrenpräsident und langjährige Innungsvertreter beim ZAWM, Joseph Palm. Auch heute noch wirkt die Innung bei den verschiedenen Prüfungen am Technischen Institut und am ZAWM tatkräftig mit und wacht somit über die Qualität der Ausbildung.

Ähnlich äußerte sich auch Erwin Kohnen, der der Innung viele Jahre als Präsident vorstand. „Die Innung ist seit Jahren ein direkter und anerkannter Ansprechpartner in Sachen Aus- und Weiterbildung im Holzsektor.“ Daher stehe der Zusammenschluss auch in stetem Kontakt zu Schulen und dem Ministerium und sei in verschiedenen Verwaltungsräten und Gremien wie dem Holzkompetenzzentrum, dem IAWM oder der Schreinerinnung Verviers vertreten. „Das ist wichtig, denn nur durch diesen intensiven Austausch können wir unser Handwerk und somit unseren Wirtschaftszweig hier in Ostbelgien voranbringen.“ Natürlich habe sich die Schreinerinnung in den vergangenen fünf Dekaden verändert, doch stets sei man dem Credo der Harmonie und der Kooperation treu geblieben.

Die meisten Betriebe haben sich auf Kernkompetenzen konzentriert.

„In den letzten Jahrzehnten haben sich die meisten Betriebe auf jeweils einige Kernkompetenzen spezialisiert. Gerade deshalb ist eine Zusammenarbeit der Betriebe heute wichtiger denn je“, so der Vorsitzende Philipp Gonay. Neben der Produktion kommen heute andere Bereiche wie Planung, technische Zeichnungen, Statik, Logistik und Montage hinzu. Ein einzelner kleiner Betrieb könne heute nicht mehr alles herstellen und bewerkstelligen. Aus diesem Grund bieten die Innung und die darin gelebte Kollegialität einen enormen Vorteil, der den Standort Ostbelgien nachhaltig für die Zukunft sichere. „Die Nachfrage nach Qualitätsprodukten ist groß und die ostbelgischen Schreinereien sind gut aufgestellt, um diesem Anspruch der Kundschaft durch gute Beratung und hochwertige Produkte gerecht zu werden” , stellt Philipp Gonay fest.

In den ostbelgischen Betrieben seien derzeit etwa 500 Handwerker im Schreinergewerbe tätig, sodass man zwangsläufig über den Tellerrand hinausschauen und in der Großregion tätig werden müsse. Der Aktionsradius liege derzeit bei bis zu 400 km, was auch darauf zurückzuführen sei, dass die Betriebe infrastrukturell und personell in den vergangenen Jahren stärker geworden seien. Qualität und Spezialisierung seien das Erfolgsrezept für Wirtschaftlichkeit, sodass Großbetriebe mit entsprechenden Produktionskapazitäten, hohen Investitionskosten und einer Spezialisierung quasi auf kleinere Betriebe angewiesen seien. „Es macht für einen kleinen Betrieb kaum noch Sinn einen Dachstuhl von Hand zu zimmern oder aber Türen und Fenstern herzustellen. Das machen die darauf spezialisierten Unternehmen viel besser, so dass die kleineren Unternehmen sich dann flexibler auf Beratung, Verkauf und Montage fokussieren können. Das ist die Strategie für die Zukunft“, meint Philipp Gonay. Die Betriebe seien durch diese Praxis auch „abhängiger“ voneinander geworden, sodass eine „symbiotische Verlässlichkeit“ unabdingbar geworden sei. Der Kunde sei in dieser Konstellation in Bezug auf die Lieferzeit, die Qualität und auch den Preis ebenfalls als Gewinner zu bezeichnen.

Vor einigen Jahren wurden die Weichen für die Zukunft neu gestellt, indem die Innung St.Vith–Büllingen zur „Schreinerinnung Ostbelgien“ wurde und ebenfalls die Kollegen aus dem Norden mit ins Boot genommen wurden. Eine erste Maßnahme war vor zehn Jahren eine gemeinsame Werbekampagne, mit der die Innung auf die Vielseitigkeit der Betriebe und des Schreinerberufes einging. „Wir haben die Betriebe vorgestellt und somit den potenziellen Kunden gezeigt, wer für welches Projekt der richtige Ansprechpartner ist, was wir alles können und was wir anbieten“, so Philipp Gonay weiter. Parallel dazu wurde eine neue Internetpräsenz geschaffen, die als gemeinsames Portal der Mitgliedsbetriebe allen Interessierten die Möglichkeit bietet, den passenden Schreiner zu finden.. „Die kollegiale Stimmung ist sicherlich der unermüdlichen Arbeit zahlreicher Ehrenamtlicher in den verschiedenen Gremien geschuldet“, lobt der Innungsvorsitzende.

Was die Zukunft betrifft, so kämpfen auch die Betriebe der Schreinerinnung Ostbelgien mit dem Fachkräftemangel. „Der Schreinerberuf ist kreativ, innovativ und vor allem befriedigend. Das erkennen viele junge Leute. Das recht hohe durchschnittliche Einstiegsalter in die Lehre liegt derzeit bei 18,25 Jahren. Viele streben nach der Ausbildung die Selbständigkeit an, aber es kann halt nicht nur Häuptlinge geben. Indianer sind genauso wichtig“, meint Siegfried Meyer. Unermüdlich versuche die Schreinerinnung Ostbelgien, den Beruf für Jugendliche attraktiv zu machen. „Unsere Nachwuchsförderung beginnt schon in der Grundschule mit der Vorstellung der verschiedenen Ausbildungsberufe Bauschreiner, Möbelschreiner, Holzbauer und Parkettleger, mit ihren Unterschieden und Besonderheiten. Dabei arbeiten wir Hand in Hand mit der WfG Ostbelgien, der Juniorenkammer sowie dem Studienkreis Schule und Wirtschaft zusammen. Mit der Aktion ‘Holz ohne Grenzen’ haben wir vor drei Jahren 300 Primarschüler begeistert. Eigentlich hätte es 2020 eine zweite Auflage dieses Wettbewerbs geben sollen, aber die Pandemie hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht. Da das Interesse der Schulen für eine Neuauflage sehr groß ist, gehen wir von einer Neuauflage im Frühjahr 2022 aus“, so Vizepräsident Mario Heck.

Festakt zum Jubiläum wird auf März 2022 verschoben.

Ostbelgien verfüge über tolle Betriebe und sei geografisch optimal gelegen, sodass das Handwerk „goldenen Boden“ habe. „Zumal die Betriebsdichte mit einem Betrieb auf 800 Einwohner in Ostbelgien einen absoluten europäischen Spitzenplatz einnimmt, was die Attraktivität des Standortes unterstreicht. Hinzu kommt, dass Innovationen in unserem Beruf meist aus den deutschsprachigen Ländern stammen, so dass wir als Ostbelgier eine Leuchtturmsfunktion für die Wallonie haben“, meint Frank Lausberg, der sich als „Nordlicht“ in der Schreinerinnung pudelwohl fühlt. Die regelmäßigen Treffen, das jährliche Josef-Fest, Wanderungen, Ausflüge und Besichtigungen bieten den Mitgliedern der Schreinerinnung Zeit und Raum für einen regen Austausch, sodass über den Fachplausch in den vergangenen Jahrzehnten auch wahre Freundschaften entstanden sind. „Da wurde ein Vortrag über Flachdächer auch schon mal mit einem Richtfest bis zum frühen Morgen beschlossen“, bemerkte Otto Wiesemes. „Unser Ziel muss es sein, dass wir auch in den nächsten 50 Jahren dieses Gemeinschaftsgefühl bewahren und unsere Interessen gemeinsam propagieren. Da uns die Pandemie in diesem Jahr Jubiläumsfeierlichkeiten unmöglich macht, verschieben wir alles um ein Jahr auf den 19. März 2022. Dann wird ein großer Festakt im Triangel in St. Vith mit vielen Freunden, Partnern und Mitgliedern stattfinden“, so der Vorsitzende Philipp Gonay abschließend.

(Quelle: Grenzecho)

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